Das Weibliche wertschätzen: Was bedeutet das eigentlich?
Vinciane Rycroft and Ruth Seehausen
Die Religionen weltweit begrüßen teilweise den Aufstieg des Weiblichen. Gleichzeitig wird mehr und mehr Licht auf ungleiche, respektlose und in einigen Fällen missbräuchliche Beziehungen zwischen Männern und Frauen geworfen.
Auch der Vajrayāna-Buddhismus erfährt diese Kraft des Umbruchs. Praktizierende können heutzutage von der Weisheit sowohl weiblicher als auch männlicher Lehrer*innen profitieren, und Belehrungen über das Weibliche sind veröffentlicht und zugänglich. Und doch waren die größten Gemeinschaften oder Sanghas im Westen in den letzten Jahren mit erschütternden Berichten über das Verhalten ihrer Lehrer gegenüber einigen ihrer weiblichen Schülerinnen konfrontiert.
Im Jahr 2019 schlug eine Gruppe von Praktizierenden aus der Rigpa-Gemeinschaft vor, einen fortlaufenden Dialog zwischen den tibetisch-buddhistischen Sanghas zum Thema Frauen und das Weibliche im Vajrayāna-Buddhismus zu führen. Der Wunsch war, zusammenzukommen und darüber nachzudenken, wo wir in unserer Tradition stehen, wenn es um die Wertschätzung des Weiblichen geht. Es war zudem klar, dass die Probleme, mit denen sich die Gemeinschaften des Vajrayāna-Buddhismus in der Schüler-Lehrer-Beziehung zwischen Männern und Frauen konfrontiert sahen, durch die vielen Missverständnisse über den Vajrayāna-Buddhismus selbst noch erheblich verstärkt wurden. Es gab auch eine Sehnsucht, sich in diesen schwierigen Zeiten an weise Frauen zu wenden, um Unterstützung und Klarheit zu erhalten.
Die Gruppe beschloss, vom großen Ganzen auszugehen, um einen Zusammenhang herzustellen und mit diesen Fragen zu beginnen:
Ist das Geschlecht in einer Tradition von Bedeutung, die sich auf Nicht-Dualität konzentriert?
Verstehen wir das weibliche Prinzip im Vajrayāna-Buddhismus?
Wertschätzen wir weibliche Praktizierende und Lehrerinnen der Vergangenheit?
Was ist kulturell und was ist Dharma, wenn es um Sexualität und Verhalten geht?
Der Sangha-übergreifende Dialog wurde mit einem kleinen Symposium weiblicher Vajrayāna-Lehrerinnen und älterer Praktizierender eingeleitet, das vom 8. bis 12. Juni 2021 stattgefunden hat. Es wurde von Lerab Ling, dem Retreatzentrum von Rigpa in Südfrankreich, auf Zoom ausgerichtet und umfasste 38 Teilnehmende aus fast zwanzig verschiedenen tibetisch-buddhistischen Sanghas.
Bei dieser Veranstaltung waren die Hauptreferentinnen Mindrolling Jetsün Khandro Rinpoche, Elizabeth Mattis-Namgyel, Sangye Khandro, Chagdud Khadro, Marcia Schmidt, die Ehrwürdige Karma Lekshe Tsomo Lama Tsültrim Allione, und Acharya Judith Simmer-Brown – in der Reihenfolge ihrer Vorträge. Die Biographien aller Vortragenden stehen hier (auf Englisch).
Es gab eigentlich kein vorgegebenes Ergebnis für das Symposium, außer dass wir unser Verständnis und auch unsere Gedanken in einem vertraulichen Rahmen offen miteinander teilen konnten. Als weibliche Vajrayāna-Praktizierende zusammenzukommen war an sich schon eine Errungenschaft und ein wichtiger neuer Schritt.
Die heiße Frage, ob Schülerinnen eine intime Beziehung zu ihren Lehrern akzeptieren oder ablehnen sollten, wurde bereits am ersten Tag gestellt, und am Ende der Veranstaltung waren wir uns einig, dass wir dafür sorgen müssen, dass die nächsten Generationen sowohl von Lehrenden als auch von Praktizierenden besser gerüstet sind, um Fehlverhalten vorzubeugen und zu begegnen.
Die Fragen aus unseren Sanghas
Vor der Veranstaltung gingen über fünfzig Fragen aus den Gemeinschaften ein, die deutlich zeigten, wie groß der Bedarf an Belehrungen und Klarheit zu diesem Thema ist. Diese Fragen sind hier abrufbar und wurden den Teilnehmerinnen des Symposiums im Voraus mitgeteilt.
Sie waren eindeutig der Anlass für die unglaublichen Belehrungen, die wir dann erhielten. Sangye Khandro wies darauf hin, dass „bei der Durchsicht der von den Sangha-Mitgliedern eingereichten Fragen wirklich klar wurde, dass die Bedeutung des weiblichen Prinzips in der größeren Sangha-Gemeinschaft mehr Erklärung erfordert. Es ist offensichtlich, dass diese Themen in Zukunft ständig geklärt und Belehrungen hierüber zur Verfügung gestellt werden müssen.“
Die Zusammenfassung des Symposiums
Die Zusammenfassung des Symposiums kann hier heruntergeladen werden (auf Englisch)
Dieser Bericht über das Symposium soll zum persönlichen Nachdenken anregen, zur weiteren Lektüre und zum Studium sowie zur Diskussion mit anderen, wenn diese Themen in Workshops und Gesprächen erörtert werden.
Er ist eine Einladung, angesichts der Komplexität offen zu bleiben, unser Unterscheidungsvermögen zu schärfen, unser Mitgefühl zu erweitern und unseren Sinn für Handlungsfähigkeit zu stärken.
Der Bericht enthält Auszüge aus den Belehrungen der Hauptrednerinnen, die für ein allgemeines buddhistisches Publikum zugänglich sind, Fragen zur Reflexion sowie markante Hauptpunkte aus den Gruppendiskussionen.
Wir werden hier nicht die eine Antwort auf die Frage nach der Wertschätzung des Weiblichen finden, aber hoffentlich wird sie jede*n von uns dazu anregen, in einen sicheren Dialog mit Sangha-Freund*innen zu treten und unser Studium sowie unsere Praxis zu vertiefen.
Hier ist die Bibliographie (auf Englisch), die während des Symposiums als Unterstützung für weiteres Studium und Praxis verteilt wurde.
Diesen Dialog und diese Handlungen in unsere Sanghas hineintragen
Alle Materialien des Symposiums sind jetzt für die Lehrerinnen, die am Symposium teilgenommen haben, verfügbar, und wir hoffen, dass sie eine Unterstützung für Workshops und fortgesetzte Dialoge werden können, indem sie den Raum für uns alle bereithalten, in dem wir erforschen können, was es bedeutet, das Weibliche im Vajrayana-Buddhismus wertzuschätzen.
Das Gespräch hat begonnen und unsere Gemeinschaften sind mehr und mehr bereit, sich ihren blinden Flecken zu stellen. Aus einer solchen Offenheit heraus lässt sich nicht sagen, was als nächstes geschehen wird.
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Zusammenfassung der Ressourcen aus dieser Veranstaltung (auf Englisch):
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